Die Geschichte von Engelchen und Teufelchen

2006 (überarbeitete Version 2008)

Es war einmal ein Engelsmädchen. Dieses kleine Himmelsgeschöpf war noch in der Ausbildung und somit noch weit davon entfernt, ein richtiger Engel mit großen Schwingen und magischen Kräften zu sein, der den Menschen helfen und sie beschützen konnte. Doch der kleine Engel übte stets fleißig und war immer darauf bedacht, lieb und nett zu sein. Um seinen Hals trug das Mädchen eine silberne Halskette mit einem blumenförmigen Anhänger, ein Geschenk seiner Mutter. Eines schönen Tages, als der kleine Engel gerade mit seinen Freunden am täglichen Flugunterricht teilnahm, kam plötzlich ein starker Wind auf, der die noch nicht ausgewachsenen Flügel der Engelskinder zerzauste und sie von ihrem vorgesehenen Weg abbrachte. Da das Engelmädchen noch sehr schwache Flügel hatte, die kaum etwas gegen den starken Wind ausrichten konnten, wurde es von seiner Gruppe getrennt, und steuerte hilflos in der Luft treibend auf die Erde zu. Es fiel durch sieben Wolkendecken und fiel und fiel immer weiter, bis sich der Himmel über ihm wieder schloss und die Umrisse der Erde, der Bäume und Häuser der Stadt immer deutlicher wurden.

Sein Sturz wurde von einem großen, starken Baum gebremst, der das Engelchen schützend mit seinen zahlreichen Zweigen und Blättern auffing. Doch auch der Baum konnte das kleine Engelsmädchen nicht vor einer Verletzung an seinem linken Flügel bewahren. Die weiß scheinenden Federn standen kreuz und quer von dem Federkleid ab und sogar etwas Blut tropfte auf den dicken Stamm eines Astes, als das Engelchen versuchte, seinen Flügel zu bewegen und wieder zu fliegen. Vor Schmerzen hielt der kleine Engel inne und drückte eine einsame Träne aus seinem Augenwinkel. Die Wunde tat so weh, dass das Engelchen nicht mehr in der Lage zu sein schien, zu fliegen. Verzweifelt richtete es seinen Blick gen Himmel, als würde es darauf warten, von jemandem abgeholt zu werden. Doch es kam niemand. Wie sollten die anderen Engel das vermisste Mädchen auch finden? Der Wind hatte sie alle bestimmt schon viel weiter getrieben, sodass sie nicht einmal mehr wussten, wo sie das Engelchen verloren hatten.

 “Wie komme ich nur wieder zurück in den Himmel?“, fragte sich das kleine Engelsmädchen mit einem traurigen Blick durch die Baumkronen in den blau-grauen Himmel hinauf. Nachdenklich strich es sich seine langen, blonden Haare hinters Ohr und seine lichtblauen Äuglein füllten sich wieder mit glasklaren Tränen. Ahnungslos, wie es sich aus dieser Situation befreien konnte, beschloss das Engelchen, sich vorerst hinzusetzen und zu überlegen.

 Nachdem das kleine Engelchen eine Weile auf dem Baum gesessen und nachgedacht hatte, wie es denn nun wieder nach Hause kommen könnte, hörte es auf einmal ein Rascheln hinter sich. Erschrocken drehte es sich um und entdeckte eine kleine, schwarze Katze, die neugierig ihr Köpfchen durch das Blättergewirr des Baumes steckte und das Mädchen neugierig musterte. Das kleine Glöckchen, welches das Kätzchen um den Hals trug klingelte hell und leise.

 “Miau”, gab das Kätzchen von sich und da der kleine Engel im Himmel bereits gelernt hatte, die Sprache der Tiere zu verstehen, wusste es genau, was die kleine Katze damit meinte.

 “Was machst du denn hier oben, so ganz alleine?”, schien das Kätzchen zu fragen und legte sein Köpfchen etwas schief, als es aus den Blättern hervorgeklettert war und auf dem dicken Ast auf das kleine Engelsmädchen zubalanciert kam. Auffordernd, gestreichelt zu werden sprang es näher an das Engelchen heran und reckte sein Köpfchen zur kleinen Hand des herab gefallenen Himmelsbewohners. Das Glöckchen bimmelte immer wieder, als das Mädchen die Katze streichelte und ihr erzählte, was passiert war. Tröstend streckte sich das Kätzchen höher und berührte mit seiner feuchten Nase die Wange des kleinen Engels, sodass das Engelsmädchen anfing, zu kichern.

Ja, du hast recht, Kätzchen, ich sollte mich nicht hier oben verstecken, sondern versuchen, einen Weg nach Hause zu finden.”, meinte das Engelsmädchen und streifte sich etwas Laub vom Kleid, als es aufstand und sich am Baumstamm festhielt.

 “Ich werde etwas durch die Stadt wandern, um Hilfe zu finden. Danke Kätzchen, du hast mir sehr geholfen!”, und mit diesen Worten verabschiedete sich das Engelsmädchen von dem kleinen Tier und machte sich daran, vorsichtig vom Baum zu klettern, um sich nicht den angeknacksten Flügel noch mehr zu verletzen.

Mit Müh und Not schaffte es das Engelchen schließlich, heil am Boden anzukommen. Mit bloßen Füßen tappte es auf den Asphalt der Straße, die neben dem Baum verlief.

Das Mädchen winkte noch einmal zum Abschied, bevor es sich umdrehte und die Straße entlang lief, Richtung Stadtmitte. Es dauerte auch nicht lange, bis die ersten Menschen in Sicht kamen. Einige erledigten Einkäufe, andere wiederum trafen sich mit Freunden um sich mit einem Becher Eis zu erfrischen und ein wenig zu plaudern.

Niemand konnte das kleine Engelchen, das neugierig durch die Gassen und Marktstraßen wanderte, sehen. Einerseits war das kleine Mädchen froh darüber, für die Menschen unsichtbar zu sein, schließlich hätten ihm die Leute nicht geglaubt, dass es ein Engel wäre, wenn sie nach den Flügeln gefragt hätten. Andererseits stimmte diese Tatsache das kleine Engelsmädchen auch traurig.

 “Die Menschen haben sich über die Jahre verändert”, so hatte es dem kleinen Nachwuchs ein Erzengel einmal erzählt, “Sie haben sich verändert und sind blind geworden für magische Wesen, für übersinnliche Dinge und somit auch für uns Engel. Sie sind zu beschäftigt mit ihrer Arbeit und ihren alltäglichen Sorgen, so beschäftigt, dass sie vergessen haben, dass es auch Engel gibt, die ihnen im Leben beistehen und sie vor Unglücken bewahren.”

 Deshalb war es auch so schwer geworden, Frieden auf der Erde zu erhalten. Die Engel verloren immer mehr ihrer Macht, die sie dazu benötigten, den Frieden aufrecht zu erhalten. Denn der Glaube, den die Menschen den Engeln und dem Guten entgegen brachten, war die Quelle der Macht dieser göttlichen Wesen. Und das wiederum wurde nur zu gerne von den Gegenspielern der Engel, den Teufeln, ausgenutzt. Diese waren für das Böse auf der Welt zuständig, streuten Feindseeligkeit und Streit, Hass und Neid und ermutigten die Menschen dazu, egoistisch zu sein, Verbrechen zu begehen und Kriege zu führen. Und da die Teufel bekannt dafür waren, dass sie stets übertrieben und sehr temperamentvoll waren, kam es oft dazu, dass die Menschen Gut und Böse nicht mehr richtig aufwiegen konnten, somit die Kontrolle verloren und der bösen Seite in ihnen den Vortritt überließen.

 Gerade, als das kleine Engelchen in eine andere Straßenseite einbog, hörte es vom Balkon eines Wohnhauses aus eine Mutter mit ihrem Kind streiten. Traurig ging es weiter, es hatte noch nicht gelernt, wie man Streit schlichtete und der Erzengel hatte seinen kleinen Schützlingen stets eingetrichtert, dass die Engel auch gar nicht dafür verantwortlich waren, Streitereien zu beenden, sondern die Menschen selbst lernen mussten, richtig damit umzugehen. Und dennoch machte es das Engelsmädchen traurig, als es hörte, welche Schimpfworten das Kind seiner Mutter an den Kopf warf und diese wiederum ihren Sprössling als Strafe dafür auf sein Zimmer schickte. Ein lautes Türenschlagen war die Folge.

 “Wo Böses in der Luft liegt, ist stets ein Teufel nicht weit, also nehmt euch in Acht!”, waren die warnenden Worte des Erzengels gewesen, als er vor den kleinen Engelchen gesprochen hatte. Es sollte wenn möglich vermieden werden, zu viele Worte mit den Teufeln zu wechseln, da diese ja doch nur darauf aus waren, Streit zu provozieren und Hass den Teufeln gegenüber in den Engeln zu erzeugen. “Lasst euch nicht herausfordern!”

 Das Engelchen wusste nicht, aus welcher Richtung die drohende Gefahr kam, also ging es weiter die Straße entlang, an zahlreichen Geschäften und Telefonzellen vorbei. Die Straßen hatten sich mittlerweile wieder etwas geleert, die Sonne ging langsam unter und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Abenddämmerung anbrechen würde. Mit der sinkenden Sonne erwachte in dem kleinen Engelsmädchen immer mehr das Heimweh und das Gefühl der Einsamkeit. Es war noch nie so lange weg von zu Hause gewesen, hatte sich auch noch nie verlaufen und war noch nie auf sich alleine gestellt gewesen. Langsam verlor es alle Hoffnung, dass es jemals wieder zurück in den Himmel finden würde. Doch was sollte es dann tun? Einfach hier auf der Erde bleiben? Ganz alleine?

 Als plötzlich ein junges Pärchen fröhlich miteinander plaudernd vor dem Engelchen aus einer Seitengasse auf den Gehweg einbog, blieb das Engelchen erschrocken stehen. Irgendwas sagte ihm, dass es lieber nicht weitergehen sollte, also rührte es sich nicht von der Stelle und wartete, bis das Pärchen an ihm vorbei, weiter die Straße entlang gegangen war und sich etwas entfernt hatte. Doch das unbehagliche Gefühl verschwand nicht und es dauerte auch nicht lange, bis das kleine Engelsmädchen herausfand, was dieses Gefühl in ihm ausgelöst hatte. Denn schon im nächsten Augenblick bog eine kleine Gestalt, ganz in Schwarz um dieselbe Ecke wie vorhin das junge Pärchen und rannte dabei so schnell, dass ein Zusammenstoß mit dem kleinen Engel nicht mehr zu vermeiden war und beide am Boden landeten.

 “Aua…”, jammerte das kleine Engelchen. Es hatte sich das Knie aufgeschlagen. Jetzt tat ihm nicht nur der linke Flügel, sondern auch noch das Knie weh. Heute schien nicht sein Tag zu sein. Verdattert blickte es auf die kleine Gestalt in Schwarz, die ihm gegenüber auf dem Asphalt hockte und gerade dabei war, sich laut fluchend wieder aufzurichten.

 “Also wirklich, kannst du nicht aufpassen?! Was stehst du denn so doof in der Gegend rum?!”, meinte die schwarze Gestalt. Das Engelsmädchen sah sein Gegenüber mit großen Augen an und musterte ihn ganz genau von oben bis unten. Wie war das möglich? Dieser Junge, nicht viel größer als es selbst, in seiner seltsamen, schwarzen Kleidung konnte das Engelchen sehen? Und was hatten diese kleinen, schwarzen, fledermausartigen Flügel auf seinem Rücken zu bedeuten?

 “Ich wollte den beiden Turteltauben gerade einen richtig tollen Streich spielen und du musst mir die ganze Sache verderben! Hast du toll gemacht, wirklich! Vielen Dank auch!”, schnauzte der kleine schwarz gekleidete Junge das Engelsmädchen mit sarkastischen Tonfall an, “Wer bist du überhaupt? Und was machst du hier, das ist mein Gebiet!”

 Mittlerweile war auch der kleine Engel wieder aufgestanden. Leicht wackelig auf den Beiden beutelte es etwas unbeholfen den Schmutz von seinem weißen Kleidchen und besah sich die Schürfwunde am Knie. Dann hob es seinen Blick und sah den schwarz gekleideten Jungen mit einem leichten Lächeln an. Zwar bestand kein Grund, so unhöflich und forsch zu sein, doch das nahm das Engelchen dem Jungen nicht übel, immerhin schien er ein kleiner Teufel zu sein, denn anders konnte sich das Mädchen die Tatsache, dass er das Engelchen sehen konnte und dass er kleine, schwarze Flügel am Rücken trug nicht erklären.

 “Ich bin ein kleiner Engel in der Ausbildung.”, antwortete es brav.

Engel? Ach, einer von diesen Quälgeistern?! Und was machst du hier so alleine, wo hast du denn deine gefiederten Freunde gelassen?”, entgegnete der kleine Teufel und starrte das Engelsmädchen grimmig an.

 “Ich bin vom Himmel gefallen… und jetzt weiß ich nicht, was ich machen soll. Die Menschen können mich nicht sehen, scheinbar bist du der Einzige, der mit mir reden kann!”

 “So so, bist also zu trottelig zum Fliegen, was? Typisch Anfänger!”, der grimmige Gesichtsausdruck des Jungen verwandelte sich schlagartig in ein gemeines Grinsen und gipfelte keine Sekunde später in einem fiesen Lachen.

 “Lach mich bitte nicht aus! Kannst du mir nicht sagen, wie ich wieder zurück finde?”, meinte das Engelchen schließlich. Es konnte sich zwar denken, dass es von einem kleinen Teufel wohl kaum Hilfe erwarten durfte, und wenn doch, bezweifelte es, dass ein Teufel wusste, wie man in den Himmel gelangen konnte, aber einen Versuch war es doch wertl. Und wen sollte das Engelchen sonst fragen?

 “Häh?! Sehe ich etwa aus wie ein Stadtplan?! Flieg doch einfach wieder zurück in deinen doofen Himmel!”, meinte der kleine Teufel arrogant und stemmte seine Hände in die Hüften. Das Engelchen sah ihn leicht verzweifelt an, als würde es jeden Moment anfangen, zu weinen.

 “So einfach ist das aber nicht! Mit tut der Flügel weh!”, ein leises Jammern war aus der Stimme des Engelchens herauszuhören und demonstrativ drehte es sich ein wenig zur Seite um dem kleinen Teufel seinen verletzten Flügel zu zeigen, “So kann ich nicht fliegen!”

 Den kleinen Teufel jedoch ließ der Anblick des blutverschmierten Federknäuels kalt und er zog nur die Augenbrauen ein wenig hoch.

Wehleidig bist du also auch noch?! Ich würde sagen, da hast du dann wohl Pech gehabt, ganz einfach! Und jetzt entschuldige mich, ich hab Besseres zu tun, als mich mit euch Engelspack abzugeben! Also dann auf nie mehr Wiedersehen!”, und mit diesen Worten drehte sich der kleine Teufel um und ging seines Weges, das kleine Engelchen ließ er einfach zurück, enttäuscht, traurig und sich selbst überlassen, mit einem angeknacksten Flügel und einem blutenden Knie. Und mit dem sich immer weiter entfernenden Teufel, sank auch die Sonne immer tiefer, bis sie vollständig hinter dem Horizont verschwand und den Himmel in ein Rot tauchte, welches langsam in ein dunkles Blau überging um sich mit dem nahenden Schwarz der Nacht zu vermischen. Es schien, als hätte die Nacht über den Tag gesiegt, genauso, wie der Teufel über den kleinen Engel gesiegt hatte.

 Teufel waren nun einmal so. Rücksichtslos, ohne jedes Mitgefühl und forsch. Sie mochten es lieber ungemütlich, laut und dunkel. Das Wort Liebe fanden sie schrecklich, dann doch lieber Zwietracht und Hass. So wurden die Teufel jedenfalls von den erwachsenen Engeln beschrieben. Das kleine Engelsmädchen brauchte sich also nicht zu wundern, dass der kleine Teufel es einfach so stehen ließ. Er hatte keinerlei Feingefühl. Ihm mochte es vielleicht nichts ausmachen, ganz alleine durch die Welt zu wandern, doch dem Engelchen schon. Denn mit der Nacht kamen auch die Angst und die Kälte und begannen sich mit schlingenden Bewegungen um das kleine Herz des Engels zu wickeln, als wollten sie es zerdrücken und dem Himmelsbewohner somit noch mehr Schmerzen zufügen.

 Das wollte das Engelchen nicht. Und so fing es kurzerhand an zu laufen, lief die Straße entlang, zwischen den mittlerweile in Dunkelgrau getauchten Häusern, dem kleinen Teufel hinterher. Es lief und lief, obwohl ihm das Knie schmerzte und bald schon hatte das Mädchen den Teufel eingeholt.

 “So warte doch!”, rief das Engelchen und streckte seine kleinen Finger nach dem Teufelchen aus. Es bekam den Saum des schwarzen Umhangs des Teufelchens zu fassen und klammerte sich daran fest. Tränen standen in seinen Augen. Genervt blieb der in Schwarz gekleidete Junge stehen und drehte sich mit bösem Blick zu dem weißen Plagegeist um.

 “Was willst du?! Lass mich gefälligst in Frieden! Wieso läufst du mir nach?!”, meinte der kleine Teufel grimmig und starrte das Mädchen an, dem die Tränen mittlerweile über die Wangen liefen, wie winzige Glasperlen, die im Dunklen leicht schimmerten.

 “Ich will nicht alleine sein! Bitte nimm mich mit! Bitte, lass mich nicht alleine!”, flehte das kleine Engelchen und klammerte sich noch fester an dem Stück Umhang fest, das es in den Händen hielt.

 Der kleine Teufel wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Genervt verdrehte er die Augen und kratzte sich am Kopf.

Aber du weißt doch gar nicht, wo ich hin will! Und außerdem, wie kommst du dazu, einem Teufel zu vertrauen?!”, meinte der Junge und sah das Engelchen provozierend an. Ganz genau, wieso wollte der Engel mit dem Teufel mitgehen, so was war gefährlich und bestimmt nicht erstrebenswert für einen kleinen Engel in Ausbildung.

 “Ich will doch bloß nicht alleine sein! Und du bist der Einzige, der mich sehen kann! Ich kann doch sonst nirgends hin!”, schniefte das Engelchen.

 “Ich werde dich heute nicht mehr los, oder?”, meinte der kleine Teufel schließlich leise, als er eine Weile nachgedacht hatte. Immer noch sah ihn das kleine Engelsmädchen mit diesen traurigen Kulleraugen an, aus denen die Tränen purzelten, wie ein Wasserfall. Tonlos schüttelte das Engelchen den Kopf.

 „Ich bleib bei dir, ob es dir gefällt oder nicht! Ich will nicht alleine sein!“, wiederholte der Engel noch einmal trotzig und bekräftigte seine Antwort mit einem ernsten Blick. Der kleine Teufel begutachtete das in Weiß gekleidete Ding etwas misstrauisch und legte seinen Kopf schief, zog eine Augenbraue hoch und tippte dem Engelsmädchen etwas grob gegen die Stirn.

 „Seit wann seid ihr Engel so egoistisch?“ Darauf schwieg das Engelsmädchen. Es wusste nicht wirklich, was es darauf sagen sollte, denn der kleine Teufel hatte recht. Auch, wenn das kleine Mädchen ein Engel war, und ihm das Wohl Anderer tausend Mal wichtiger sein sollte, als das eigene, hatte das Engelchen im Moment nichts anderes im Kopf als den Gedanken, dass es nicht alleine sein wollte, um keinen Preis der Welt. Und dafür nahm es sogar in Kauf, einem Teufel auf die Nerven zu gehen und als egoistisch bezeichnet zu werden. Das war alles in allem schlichtweg unengelhaftes Verhalten. So wurde es nicht an der Engelschule gelehrt. Und dennoch war es dem kleinen Engelsmädchen egal. Es wollte ganz einfach nur, dass dieses schmerzende Gefühl in der Brust verschwand.

Als das Engelchen nichts auf die Äußerung des Teufels sagte, schien dieser aufzugeben. Vielleicht gefiel ihm die Vorstellung, dass auch ein kleiner Engel mal egoistisch sein konnte, sogar, denn er schien sich kurzerhand anders zu entscheiden.

 „In Ordnung, ich nehme dich mit. Aber nur unter der Bedingung, dass du mich nicht vollquatscht…“, seufzte der kleine Teufel, und als sich die dunkle Miene des kleinen Engelsmädchens zu erhellen schien, fügte er noch rasch hinzu „und dass du mich nicht so anstrahlst! Das ist ja fürchterlich! Lass das!“

Daraufhin drehte das Teufelchen sich um und wollte weiter gehen, den kleinen Engel an seinem Umhang hängend.

 „Nun komm schon, trödle nicht so!“, meinte er noch, als er sich kurz umdrehte, da das Engelchen sich immer noch nicht vom Fleck bewegt hatte. In der einbrechenden Dunkelheit konnte das Engelsmädchen den kleinen Teufel fast nicht mehr erkennen, nur das Rot seiner Augen schien in der Finsternis der Nacht ein wenig zu leuchten. Plötzlich gingen die Lichter der Laternen an und erhellten die Straßen. Und schon hatte das Engelchen gar nicht mehr so viel Angst im Dunkeln. Außerdem hatte es ja jetzt einen Begleiter.

 Der Weg des kleinen Teufels führte die beiden nicht besonders weit. An einem Bahnhof, ganz in der Nähe, hielt der schwarz gekleidete Junge an. Er setzte sich auf eine der Stahlbänke, auf denen die Passagiere normalerweise auf ihre Züge warteten und ließ das kleine Engelchen, welches den Umhang inzwischen wieder los gelassen hatte, mit fragendem Blick neben sich stehen. Verdattert und verwirrt sah es sich um, schließlich wusste es nicht, was ein Bahnhof war und wozu der kleine Teufel hier angehalten hatte.

 „Wohnst du etwa hier?“, fragte das Engelsmädchen neugierig.

Ach was, so ein Unsinn! Von wegen wohnen! Ich warte auf den Zug, was denkst du denn?! Noch nie einen Bahnhof gesehen?!“, antwortete der kleine Teufel genervt.

Nein... Aber ich weiß, was das ist... ein Zug, meine ich!“, entgegnete das Engelsmädchen teils beschämt, teils stolz.

 „Na da bin ich aber froh, dass ich dir Dummchen nicht alles erklären muss! Wir warten jetzt auf den Zug und fahren dann damit ins Stadtzentrum. Dort habe ich mir einen kleinen Unterschlupf gebaut.“

 „Wieso fliegst du denn nicht dort hin? Du hast doch auch Flügel!“, meinte das Mädchen und deutete auf das kleine, schwarze Paar Flügel, das aus dem schwarzen Umhang des Teufels herausragte. Das Teufelchen verdrehte seinen Blick nach oben.

 „Wir Teufel haben zwar Flügel, aber wir können damit nicht fliegen.“, erklärte er dem Mädchen, welches daraufhin neugierig die winzigen Schwingen betrachtete und es sich letztendlich nicht verkneifen konnte, kurz daran zu ziehen, um sie auf deren Echtheit hin zu überprüfen.

Au! Lass den Quatsch, das tut doch weh!“, Tatsache war, dass die Flügel echt waren. Doch wieso konnte man sie dann nicht zum Fliegen verwenden? Welchen Nutzen hatten sie dann? Als das Engelchen diese Frage stellte, lachte der kleine Teufel nur.

 „Du Dummchen! Du weiß aber nicht gut Bescheid! Es gibt eben Dinge auf der Welt, die nutzlos sind. Und dennoch sind sie da und man möchte sie nicht missen, verstehst du? Mit deiner Haarklammer ist es doch dasselbe, oder?“, der kleine Teufel lehnte sich etwas vor, um die weiße Haarklammer, die im Haar des kleinen Engels steckte, besser betrachten zu können. „Das ist wie bei den Menschen. Sie kaufen sich ständig neue Sachen, Kleidung, Zeitschriften, teuren Schmuck, was auch immer. Nutzlose Dinge, wenn man es genau betrachtet, denn man braucht sie nicht zum Überleben. Und dennoch sind diese materiellen Dinge da und sie sind von Bedeutung und größter Wichtigkeit für die Menschen. Eine Art Zierde, wenn man es so will. Wieso die Mensche so an diesen Dingen hängen, weiß ich aber auch nicht. Ich denke, wie wissen es selbst nicht so genau.“

 „Und was ist mit Geschenken? Warum bedeuten den Menschen Geschenke so viel? Und wieso schenken sie?“, fragte das kleine Engelchen neugierig und sah den kleinen Teufel erwartungsvoll mit großen Augen an. Es musste an die Silberkette um seinen Hals denken, die ihm seine Mutter einst geschenkt hatte. Sie bedeutete ihm sehr viel, auch, wenn es nicht genau wusste, wieso.

 „Ach herrje… sagte ich nicht, du sollst mich nicht vollquatschen?! Was fragst du mich, wieso die Menschen schenken?! Das weiß ich doch nicht, vermutlich, weil sie dann ebenfalls etwas geschenkt bekommen. Wenn du mich fragst, sind Geschenke nur Mittel zum Zweck. Der Mensch ist egoistisch und will stets beschenkt werden. Das wertet sein Selbstwertgefühl auf, oder was weiß ich. Stell nicht so dumme Fragen und halt endlich den Mund!“, antwortete der kleine Teufel schroff, lehnte sich wieder zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

 „Und ich dachte, die Menschen schenken, weil sie anderen eine Freude machen wollen… und Geschenke sind einem besonders viel wert, wenn sie von jemandem kommen, der einem viel bedeutet…“, seufzte das kleine Engelsmädchen leise und ließ etwas enttäuscht den Kopf hängen. Schweigend sah der kleine Teufel das Mädchen an. Nach einer Weile meinte er leise: „Wer weiß, vielleicht hast du ja auch recht.“

 Kurze Zeit später fuhr der Zug in den Bahnhof ein und mit den paar Leuten, die auf ihre Heimfahrgelegenheit gewartet hatten, zwängten sich auch der kleine Teufel und das Engelchen an dessen Umhangzipfel ungesehen in den Waggon und setzten sich nebeneinander auf zwei freie Plätze. Die Fahrt, die nicht länger als eine Viertelstunde dauerte, verbrachten sie schweigend, worüber der kleine Teufel sehr froh war. Er hatte keine Lust mehr, sich mit dem kleinen Engel über so unnützes Zeug zu unterhalten. Seine Gedanken sollten einzig und alleine dazu verwendet werden, sich neue Streiche auszudenken und darüber zu grübeln, wie er den Menschen das Leben noch ein klein wenig schwerer machen konnte, als es ohnehin schon war. Schließlich war das sein Aufgabe hier auf der Erde und die wollte er auch nur zu gerne erfüllen, besonders, weil sie ihm so viel Spaß bereitete.

 Als die beiden aus dem Zug stiegen, steuerte der kleine Teufel sofort die Treppe an, die aus der Untergrundstation hinaus ins Freie führte, kurze Zeit später traten er und das Engelsmädchen in die kühle Nachtluft hinaus. Wie eine Sturmböe schlug der kalte Nachtwind dem kleinen Engel um die Ohren und schien ihm heulend seine Geschichte erzählen zu wollen, die jedoch im Stimmengewirr der Menschen, die noch unterwegs waren, unterging. Zielstrebig steuerte der kleine Teufel über den mit Neonlichtern beleuchteten Platz mitten im Stadtzentrum, jedoch nicht, ohne sich hin und wieder nach Leuten umzudrehen und mit dem Finger zu schnippen, woraufhin stets etwas passierte, das dem Betroffenen schadete. Einmal verlor ein Passant seine Brieftasche, auf der gegenüberliegenden Straßenseite krachte jemand in eine Straßenlaterne, hier stieß jemand versehentlich einen Mülleimer um und richtete damit eine riesige Schweinerei an und dort bekleckerte ein Junge seine Freundin mit seinem Kaffee, woraufhin er von dieser angeschrieen wurde. Und der kleine Teufel lachte sich ins Fäustchen, während das kleine Engelsmädchen sich fragte, was das Ganze eigentlich sollte.

 Es dauerte nicht lange, bis die beiden das Versteck des Teufels erreicht hatten. Es handelte sich um einen kleinen Unterschlupf, versteckt in einer der zahlreichen Seitengassen der Stadt, bestehend aus ein paar alten Schachteln Karton, ein paar mit Plastik benagelten Brettern und einer Wolldecke, die nachts wohl als Wärmespender diente. Schnurstracks kletterte der kleine Teufel in seine Behausung, das kleine Engelchen blieb kurz davor stehen und begutachtete das Bauwerk des kleinen Teufels. Dieser streckte keine Sekunde später seinen Kopf aus dem Versteck und sah das Engelsmädchen fragend an.

 „Was ist, Engel?“, meinte der kleine Teufel etwas abfällig, „Willst du im Freien übernachten?! Komm rein, oder passt dir was an meinem Unterschlupf nicht?!“

 Doch das Engelchen schüttelte nur den Kopf und lächelte den kleinen Teufel freundlich an. Ganz im Gegenteil. Dem Mädchen gefiel das winzige, selbst zusammen gebastelte Häuschen. Es hatte etwas sehr persönliches und wirkte viel bequemer.

 „Hör auf, so dämlich zu grinsen und komm endlich rein!“, schnaufte der kleine Teufel unfreundlich und verschwand wieder, das Engelsmädchen folgte er Einladung und schlüpfte ebenfalls in das Versteck. Der Junge wickelte sich sofort in seiner Wolldecke ein, lehnte sich an eine mit Holz ausgekleidete Wand und gab dem Engelchen zu verstehen, dass es ihm gefälligst nicht zu nahe kommen und an der gegenüberliegenden Seite bleiben sollte. Ohne Decke natürlich. Und es sollte den Mund halten und schlafen.

 Doch das kleine Engelsmädchen konnte nicht einschlafen und so lag es im Dunkeln wach, ließ seine Augen, die sich langsam an die Dunkelheit gewöhnten, durch das Versteck wandern und streifte dabei immer wieder den kleinen Teufel mit seinem Blick, der zusammengekauert an der gegenüberliegenden Wand lehnte und bereits zu schlafen schien. Dem Engelchen war kalt. Obwohl Sommer war, war es nachts doch eher kühl und in dem leicht zugigen Unterschlupf pfiff der Wind durch alle Ritzen und Spalten im Holz, sodass es alles andere als warm war.

 „Du, Teufelchen?“, fragte das kleine Engelsmädchen leise in die Dunkelheit hinein, obwohl es nicht wusste, ob der kleine, schwarz gekleidete Junge noch wach war, oder nicht, „Warum hast du das vorhin mit den ganzen Leuten gemacht? Was macht es für einen Sinn, sie zu ärgern?“

 „Wieso kannst du nicht einmal den Mund halten und endlich aufhören, mir ständig so blöde Fragen zu stellen?“, kam es murrend und leicht verschlafen klingend von der anderen Seite und erschrocken über die unerwartete Antwort zuckte das Engelchen leicht zusammen.

 „Bitte, erklär es mir, ich verstehe es nicht!“, entgegnete das Mädchen, kauerte sich zusammen und zog die Beine an seinen Körper, um sich etwas wärmen zu können.

 „Es ist meine Aufgabe. Wir Teufel sind für das Böse und Gemeine auf der Welt verantwortlich, das müsstest du doch wissen! Also habe ich dafür zu sorgen, dass den Menschen auch mal unglückliche Dinge passieren und dass sie sich ärgern. Was ist deine Aufgabe, na?“

 „Meine Aufgabe? Du meinst, was ein Engel tun muss?“, fragte das Engelchen etwas verwirrt.

 „Genau das meine ich. Also?!“

Meine Aufgabe ist es, den Menschen zu helfen, sie zu beschützen und glücklich zu machen. Wir Engel sollen ihnen Freude machen und dafür sorgen, dass sie sich gut fühlen.“

 „Ganz genau.“, antwortete der kleine Teufel durch die Finsternis, „Aber weißt du was? Stell dir doch mal vor, alle Menschen auf der Welt wären glücklich und zufrieden. Wie könnten sie es dann noch bemerken, wenn ihnen etwas Gutes widerfährt? Wenn alles wie am Schnürchen läuft, wird das doch zu etwas Selbstverständlichem. Und wer freut sich schon über etwas Selbstverständliches? Das haben die Menschen längst verlernt! Und deshalb muss es ihnen hin und wieder auch mal schlecht gehen, damit sie die guten Zeiten von den schlechten unterscheiden können. Was denkst du, wieso es Engel und Teufel gibt? Wenn alles schön wäre, alles heile Welt, dann wäre es doch tierisch langweilig. Und wenn alles schlecht wäre, sozusagen die Hölle auf Erden, das wäre auch nicht das Wahre. Die Aufgabe von uns Teufeln und euch Engeln ist es, ein Gleichgewicht zwischen Gut und Böse aufrecht zu erhalten, damit die Menschheit nicht dem Chaos zum Opfer fällt, verstehst du?“

 Das Engelchen hatte dem kleinen Teufel schweigend und aufmerksam zugehört und war zu dem Schluss gekommen, dass der kleine Teufel recht hatte. Vielleicht redeten die Engel oft nicht besonders nett über die Teufel, doch das zeigte doch auch nur, dass sie nicht durch und durch gut waren. Wären sie durch und durch gut, könnten sie das Böse vom Guten doch gar nicht unterscheiden und würden nur Durcheinander anrichten. Und obwohl es genügend Gründe gab, schlecht über die Teufel und ihre Machenschaften zu reden, es schien durchaus auch Gründe zu geben, für die man die Teufel bewundern konnte, hatte das kleine Engelchen doch heute schon eine Menge von dem kleinen Teufel gelernt… Das kleine Mädchen schwieg noch eine Weile, dann fasste es sich ein Herz.

 „Teufelchen?“, fragte es noch einmal.

 „Was ist denn?!“, lautete die genervte Gegenfrage.

 „Ich friere… mir ist kalt und ich kann nicht schlafen, wenn meine Beine so zittern!“, meinte das kleine Engelchen.

 „Du bist mir ein schöner Engel. Nicht nur, dass du egoistisch bist, du fragst einem auch noch Löcher in den Bauch und nörgelst und jammerst ständig nur herum! Weißt du, was ein Menschenjunge jetzt sagen würde? „Typisch Frau“!“

 Das Engelchen sagte nichts dagegen. Es wusste, dass der schwarzgekleidete Junge die Wahrheit sprach. Doch das Mädchen wusste auch, dass der kleine Teufel das Engelchen gar nicht so unausstehlich fand, wie er tat und das bekam es ein paar Sekunden und einen langen Seufzer des Jungen später auch bestätigt.

 „Wenn ich dich zu mir unter die Decke lasse, gibst du dann endlich Ruhe?!“, und obwohl in der Äußerung des kleinen Teufels klar herauszuhören war, wie genervt er von der ganzen Sache war, konnte das kleine Engelchen doch ein wenig Freundlichkeit spüren. Schließlich kletterte es auf die andere Seite zu dem kleinen Teufel und verschwand unter dessen etwas angehobenen Bettdecke. Lächelnd kuschelte sich das Engelsmädchen unter die warme Decke und ein wenig an den kleinen Teufel heran, was dieser wiederum mit einem Brummen quittierte. Doch dem Engelchen war es egal, ob es dem kleinen Teufel auf die Nerven ging, oder nicht, es fühlte sich wohl und geborgen.

 „Du, Teufelchen?“, fing das kleine Engelchen nochmals an.

Was denn noch?! Hab ich nicht gesagt, du sollst endlich Ruhe geben?!“, meinte der kleine Teufel, mittlerweile war er mehr als genervt.

 „Du bist lieb!“, flüsterte das kleine Engelsmädchen dem Teufel ins Ohr.

Was?! Bist du verrückt?! Ich bin überhaupt nicht lieb!“, rief dieser daraufhin und setzte sich empört auf.

 „Doch! Du bist gar nicht so böse, wie du tust! Du bist nicht rücksichtslos!“, meinte das Engelchen von unten herauf und grinste dabei über beide Ohren.

 „Und ob ich das bin!“, entgegnete der kleine Teufel entrüstet.

 „Glaub ich dir nicht!“, kicherte das kleine Mädchen.

 „Ach, halt doch den Mund! Schlaf jetzt! Und hör auf, so dämlich zu kichern, sonst schmeiß ich dich raus und es ist mir scheißegal, ob du erfrierst oder nicht!“

 Und mit diesen Worten legte sich der kleine Teufel wieder hin und rollte sich zur Seite, sodass er ja weit genug weg von diesem lästigen kleinen Engel war. Grummelnd vergrub er sich tiefer in der Decke und es dauerte nicht lange, bis sowohl das Engelchen, als auch der kleine Teufel endlich eingeschlafen waren.

 Als die beiden am nächsten Morgen gähnend aus dem Versteck krochen, stand die Sonne bereits wieder strahlend am Himmel und weckte mit ihren zarten Strahlen den Tag. Der kleine Teufel reckte und streckte sich und blinzelte gegen den hell leuchtenden Ball, der am azurblauen Himmel hing.

 „Wie ich solch schönes Wetter hasse! Wieso kann es nicht wieder einmal regnen und blitzen?!“, murrte der kleine Teufel leise und drehte sich nach dem kleinen Engelchen um, welches etwas besorgt seinen verletzten Flügel betrachtete.

 „Es tut immer noch weh…“, jammerte das kleine, blonde Mädchen.

 „Und du bist wehleidig und eine Nörglerin!“, entgegnete der kleine Teufel schlecht gelaunt. Dem kleinen Engelsmädchen blieb jedoch keine Zeit mehr, eine verteidigende Antwort zu geben, denn im nächsten Augenblick legte sich ein großer Schatten über die beiden und verwirrt blickten sie wieder nach oben.

 „Da bist du ja! Wir haben dich überall gesucht! Ist alles in Ordnung?“, es war der Engel, der die Fluggruppe des kleinen Engels leitete. Mit seinen majestätischen Schwingen stieg er vom Himmel und kam leichtfüßig vor seinem kleinen Schützling auf der Erde zum Stehen. Besorgt musterte er das kleine Mädchen, welches den erwachsenen Engel, mit den weiten Flügeln und dem langen silbrig glänzenden Haar erleichtert und mit Freudentränen in den Augen ansah.

 „Gott sei Dank hast du mich gefunden!“, rief es erfreut aus und lief dem Engel in die ausgebreiteten Arme, „Tut mir leid, wenn ihr euch Sorgen um mich gemacht habt! Aber ich hab mich am Flügel verletzt und konnte deswegen nicht zurück!“

 Der silberhaarige Engel hob seinen kleinen Schützling vom Boden hoch auf seinen Arm und begutachtete besorgt den verletzten Flügel, an dem ein paar ausgefranste, mit Blut zusammenklebende Federn hingen, wie abgestorbene Blumen.

Ach, das haben wir gleich!“, antwortete der Engel mit einem warmherzigen Lächeln auf den Lippen und hielt seine Hand über die verletzte Stelle, die daraufhin in einem wundersam gleißenden Licht erstrahlte. Kurz darauf war der Flügel wieder wie neu und so breitete das kleine Engelsmädchen seine Flügelchen aus und flatterte nun wieder ganz alleine ein paar Zentimeter über dem Boden, wieder auf den kleinen Teufel zu, der den großen Engel in der Zwischenzeit misstrauisch beäugt hatte.

 „Hast du dich um sie gekümmert?“, fragte der Engel den kleinen Teufel und lächelte ihn an, „Ich danke dir dafür!“

 „Ich hab überhaupt nichts. Die Heulsuse hat sich sozusagen an mich dran geheftet, was hätte ich denn anderes machen sollen…“, murmelte der kleine Teufel und blickte etwas beschämt zu Boden. In der Tat war er nicht besonders stolz darauf, einem Engel geholfen zu haben, er konnte nur hoffen, dass seine Kumpanen aus der Unterwelt dies niemals herausfanden und ihn zum Gespött machten.

 „Vielen Dank für alles, Teufelchen!“, meinte das kleine Engelsmädchen und trat vor den kleinen Teufel, griff nach seiner Hand und blickte ihm direkt in die Augen. Lächelnd beugte sich das Engelchen noch näher zu dem kleinen Teufel und drückte ihm einen kleinen, schüchternen Kuss auf die Wange. Der verdattert dreinblickende kleine Teufel wehrte sich nicht und ließ das Mädchen machen.

 „Ich werde jetzt wieder nach Hause gehen, aber vielleicht komme ich dich wieder einmal besuchen!“, strahlte das Engelchen fröhlich und begann, etwas kräftiger mit den Flügeln zu schlagen und Richtung Himmel aufzusteigen, wo der silberhaarige Engel bereits auf seinen kleinen Schützling wartete.

 „Bloß nicht…“, antwortete der kleine Teufel und blickte das Engelchen zornig an, riss seine Hand schnell wieder los und blickte etwas beschämt zu Boden.

 „Leb wohl!“, meinte das kleine Engelsmädchen noch einmal und flog immer höher, stieg in den Himmel hinauf und entfernte sich immer mehr von der Erde. Und als der Teufel immer kleiner wurde, konnte es gerade noch erkennen, wie der kleine Teufel seine Hand hob, wenn auch nur ein kleines Stückchen, und dem Engelchen hinterher winkte. Fröhlich lachend drehte das Engelchen sich um, wandte den Blick gen Himmel und flog nun Hand in Hand mit dem Engel mit den silbernen Haaren durch die Wolkenherden, immer weiter in den blauen, klaren Himmel hinauf.

 „Du hast dich also mit einem Teufelchen angefreundet?“, fragte der Engel das kleine Mädchen nach einer Weile. Er schien nicht verärgert deswegen, viel mehr schien er amüsiert über das kleine Mädchen, das sich sogar einen kleinen Teufel zum Freund auserkoren hatte.

 „Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, wir Engel und die Teufel sind dazu da, miteinander gut auszukommen. Ohne die Teufel könnten wir vermutlich gar nicht existieren! Wir sind wie füreinander gemacht“, meinte der silberhaarige Engel nach einer kurzen Schweigepause. Auch, wenn die Erzengel oft andere Ideale predigten, die meisten von ihnen wussten es ja doch besser.

 „Wie meinst du das?“, fragte das kleine Engelsmädchen nach, da es nicht gleich verstand, was der silberne Engel ihm damit sagen wollte.

 „Kennst du das Sprichwort, „Wie die zwei Seiten einer Medaille“? Es gibt eine Licht- und eine Schattenseite. Wo Bäume wachsen und die Sonne scheint, finden wir Schatten am Waldboden. Genauso, wie es das Gute und das Böse gibt. Doch eines kann ohne dem anderen nicht existieren, es muss beides geben. Irgendwie logisch, wenn man darüber nachdenkt, nicht wahr?“

 „Ja, da hast du wohl recht!“, meinte das Engelchen lächelnd und musste daran denken, was es von dem kleinen Teufel gelernt hatte.

 

 

Ende